Gärtnern ist politisch

1. Gärtnern bedeutet Autonomie.
Wer gärtnert, ist aktiv und nimmt Dinge in die eigene Hand. Der Gärtner, die Gärtnerin treten mit ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Präsenz für den Garten ein; und sie stehen, ebenso wie der Garten selbst, in Wechselwirkung mit seinem Umfeld. Sie bestimmen, was in ihrem Garten passiert, und wirken dadurch auch auf ihre Umwelt. Gärtnerinnen und Gärtner sind auch Bürgerinnen und Bürger, Stadtbewohner, Steuerzahlende, Verkehrsteilnehmer, Konsumenten und Konsumentinnen – sie gestalten ihre Lebenswelt auf vielfältige Weise mit.

2. Gärtnern findet an realen Orten statt.
Wer gärtnert, braucht Platz. Er gestaltet den Raum, und das ist gerade in den Städten auch eine Machtfrage. Wo es darum geht, wie Stadtraum genutzt werden kann, sind Gärten zunehmend eine Option. Denn Urbane Gärten sind vielfältig und nachhaltig. Sie sind Orte der Begegnung, des Lernens, der Erfahrung, der Neugier, der Sinnlichkeit, der Entschleunigung, auch des Widerstands gegen die neoliberale Ordnung.

3. Gärtnern ist aktive Teilnahme an der Lebensmittelerzeugung.
Wer einen Teil seiner Nahrung selbst herstellt, beginnt, sich der ungebremsten Industrialisierung der Lebensmittelherstellung zu widersetzen. Er lehnt es ab, sich auf seine Rolle als Verbraucher beschränken zu lassen. Man hört oft, dass wir noch nie eine so lückenlose Versorgung mit Lebensmitteln hatten wie in unserer Zeit. Das ist einerseits wahr; die Leistungsfähigkeit der Industrie ist beeindruckend. Aber sie verlangt einen immer höheren Preis. Wer selbst gärtnert, bekommt davon ein klares Bewusstsein.

4. Gärtnern beruht auf natürlichem Wachstum.
Etwas wachsen zu sehen, ist ein Urgefühl. Das Staunen über eine Pflanze, die aus einem Samen sprießt, oder die Freude, ein Kind aufwachsen zu sehen, sind archaische Empfindungen. Doch aus dem mächtigen Wort „Wachstum“ ist ein völlig einseitig besetzter Begriff geworden – verstärkt durch eine Finanzwirtschaft, die kaum noch reale Produktionsprozesse abbildet und trotzdem die Macht hat, weltweite Krisen auszulösen. Die angeblichen Gewinne durch rein finanzielle Transaktionen sind eine Illusion. Finanzwirtschaft existiert nicht ohne die reale Welt, und in der ist das Wachstum begrenzt. Ein Gärtner weiß das aus Erfahrung.

5. Gärtnern ist Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Lebens.
Wer gärtnert, lernt, dass sich die Natur nur begrenzt zwingen lässt. Wer Pflanzen zu extremer Leistungsfähigkeit treibt, büßt Vitalität, Geschmack und andere Qualitäten ein; wer ein Ökosystem mit Giften traktiert, schädigt es und erzeugt Resistenzen; wer eine Landschaft mit Monokulturen überzieht, macht sie kaputt. Beim Gärtnern lernt man das komplexe Zusammenspiel in Ökosystemen begreifen. Wer merkt, wie wenig sich Pflanzen manchmal an die züchterischen Vorgaben halten und wie komplex die genetischen Vorgänge sind; wer erlebt hat, wie weit der Wind Pollen transportiert und wie weit die Bestäuber fliegen; wer also begreift, dass die totale Machbarkeit, die die Saatgut- und Gentechnikkonzerne suggerieren, durch die Realität nicht gedeckt ist, der wird kritisch gegenüber ihren Versprechungen.