Liebe Lilly, Du warst meine Erste.
Als Du vor ziemlich genau drei Jahren mit Deinem Schwarm und einem weiteren Schwarm bei uns im Garten ankamst, wusste ich gleich, dass ich Dein Volk versorgen möchte. Warum? Irgendwie wart Ihr, Du und Deine Damen, mir gleich sympathisch als Ihr in eine unserer Kisten eingezogen seid. Und ich hab mich nicht getäuscht!
Deine Mädels waren von Anfang an total gechillt. Egal, wie oft wir am Anfang aufgemacht haben, um zu sehen, ob Ihr neue Rahmen braucht oder mehr Zuckerwasser – Ihr habt Euch nie sonderlich irritieren lassen von der Kälte, Licht und Luft, die beim Öffnen und Rahmen-Ziehen plötzlich durch Euer Haus drangen und von der Unordnung, die wir in Eurer sorgfältig angelegten Struktur jedes Mal hinterlassen haben, auch wenn wir das nicht beabsichtigt haben.
Selbst nach dem Unfall-Massaker durch eine abgerissene Honigwabe gleich in den ersten Monaten seid Ihr weder ungehalten noch aggressiv geworden.
Im Vergleich zu den anderen Völkern, die direkt neben Deinem standen, wart Ihr immer mit Abstand die freundlichsten.
Du und Deine Damen haben mir (und all den Imkern die das nicht glauben wollten) beigebracht, wie prächtig Ihr gedeiht, wenn der Mensch nicht regelmäßig seine Nase zwischen Eure Waben steckt, weil er meint, dass nur er beurteilen kann, ob alles bei Euch in Ordnung ist!
Und tatsächlich scheint es Euch fast drei Jahre lang bei uns so gut gefallen zu haben, dass egal wie groß Dein Volk wurde und egal wie eng und heiß es in Eurem Heim dadurch wurde, Du keine Lust hattest auszuziehen. Und Du weißt, wie sehr ich mich darüber gefreut habe, dass Du lieber bleiben wolltest!
Umso größer war meine Bestürzung, als ich dieses Jahr nach dem Winter gesehen habe, wie winzig Dein Volk geworden ist. Da warst Du wahrscheinlich schon nicht mehr am Leben und Deine verbliebenen Töchter haben mit allem, was sie konnten, versucht Dein Volk zu retten – vergebens: ohne Königin überlebt kein Bienenvolk lange.
Gestern, als wir Deine alte Behausung gesäubert haben, hab ich Dich gefunden: ganz unten auf einer Deiner Brutwaben hattest Du Dich festgehalten bevor Du gestorben bist.
Auch wenn Du es nicht mehr mitbekommen hast und man es kaum glauben mag: ein paar tapfere Deiner Mädels haben bis jetzt durchgehalten, sich auch von hunderten Räuber-Bienen nicht klein kriegen lassen und harren immer noch in Deinem alten Schloss aus in der Hoffnung, dass sich doch noch eine Lösung finden könnte.
Und tatsächlich: gestern hat ein Engel eine Königin in unseren Garten geschickt, die dringend ein neues Zuhause sucht! Wenn alles gut geht, dürfen die letzten Deiner Töchter zusammen mit einer neuen Adoptivfamilie ihre restlichen Tage und Wochen verbringen. Mehr davon erzähl ich ein anderes Mal.
Liebe Lilly – Du warst fast drei Jahre lang meine erste Bienenkönigin und ich werde Dir immer dankbar sein, weil Du und Deine Töchter mir gezeigt haben, auf welche Art man mit Bienen befreundet sein kann.
Leb wohl Lilly – ich werde Dich nicht vergessen!